Patientendaten über alles! – Über Aktivitäten zur Petition, blinden Digitalisierungshype und nicht garantierte Stabilität von Demokratien

Ein schöner Herbsttag Mitte Oktober. Drei Kolleginnen und ich stehen in München-Giesing mit einem Petitions-Stand an einem zentralen Platz, hinter uns das Banner „Gesundheitsdaten in Gefahr – Patientendaten gehören nicht ins Internet“. Manche Menschen wollen nicht angesprochen werden, andere erst in Ruhe zuhause das Infoblatt lesen. Einige gibt es aber doch, die spontan reagieren: „Das unterschreibe ich Ihnen sofort“.

Petitionsstand in München – 12.10.19

Gespräche über Zwang und Freiwilligkeit

Viele Unterschriften bekommt man auf diese Weise zwar nicht, das geht in der eigenen Arztpraxis leichter. Aber die Gespräche sind fruchtbar. Eine Anwältin bezweifelt, dass die Freiwilligkeit für die Patienten zum Speichern von Daten in der elektronischen Patientenakte tatsächlich Freiwilligkeit ist. Ein Kieferchirurg unterschreibt ebenso sofort, und berichtet, er habe nun die Telematik installiert, gezwungenermaßen, weil jetzt schon mit der aktualisierten Praxissoftware die Versichertenkarten nicht mehr eingelesen werden können.

Schließlich eine lange Diskussion – letztlich ohne Unterschrift – mit einem Herrn, der sich offenbar in der Materie gut auskennt. Nach gut einer halben Stunde outet er sich: er sei Chefredakteur einer Health-Care-Zeitschrift. Er zeigte sich offen, wichtige Argumente in eine Interviewanfrage an Minister Jens Spahn mit aufzunehmen. Das große Interesse an den Patientendaten und vor allem der Verknüpfung verschiedener Daten (Alltagsdaten etwa von Fitnesstrackern; Daten aus Krankheitenregistern; Forschungsdaten; Behandlungsdaten aus Krankenhäusern und Praxen) schien er nicht so recht nachvollziehen zu können.

Patientendaten über alles?

Aber das Motto heutzutage lautet „Patientendaten über alles!“ So war heute mittag ein Beitrag zu einem Kongress der Versorgungsforschung im Ärztenachrichtendienst betitelt. Für eine gesetzliche Krankenkasse meinte demnach eine ärztliche Mitarbeiterin, dass Daten einzelner Krankenkassen ihrer Ansicht nach nicht weiterhelfen würden. Vielmehr müssten diese geteilt werden, da sei man einer Meinung mit dem BMG. Und sie berichtete, die Kasse habe auch mal Daten weggegeben, und später wieder zum Kauf angeboten bekommen. Da wirkt der Zusatz, Daten seien ein hohes Gut, nur wie eine anstandshalber eben noch dazu gehörige Alibiäußerung.

Es solle keine Zeit verplempert werden, man wolle endlich Nutzen stiften – man könnte fast meinen, wir leben in einem Entwicklungsland. Ja, unser Gesundheitswesen liegt mit dem Output, nämlich der Lebenserwartung, international nur im Mittelfeld. Der Input finanzieller Art jedoch ist überdurchschnittlich hoch. Diese Kluft wird mit dem Milliardenprojekt Telematikinfrastruktur jedoch nur größer statt kleiner. Denn heute schon werden zu viele (teure) technische Untersuchungen und Operationen gemacht, die den finanziellen Input so in die Höhe treiben.

(Fast) alles nur noch digital – Telefon, Bildung, Schulen, Behandlung

Gleichzeitig haben wir einen Pflegenotstand – stationär, ambulant, in Heimen. Natürlich kann auch ein Roboter meiner Mutter, der im Sommer der Pflegedienst wegen Personalmangels die Versorgung gekündigt hatte, die Stützstrümpfe an- und ausziehen. Aber wollen wir wirklich in einer solchen Welt leben? In der – zugespitzt – Computer die medizinische Beratung übernehmen, Algorithmen Anrufe beim Bereitschaftsdienst den jeweiligen Versorgungsformen zuweisen, Autos und Smart Homes permanent Daten über uns an Firmen liefern, Bildung über Tablets und Smartphones läuft – und die Kinder so schon früh daran gewöhnt werden, dass Programmieren in, Hintern ausputzen aber out ist?

„Minister Jens Spahn legt die Axt an die Säulen des Sozialstaats“, so DGB Chef Hoffmann kürzlich in einem Interview (Bericht auf aend.de). Spahn sei dabei, „die unabhängige, versichertennahe Selbstverwaltung zugunsten ministerialer Durchgriffsfantasien abzuwickeln“. Damit taste er nicht nur das Grundgerüst des Sozialstaats an, sondern bereite auch den Boden für einen radikalen Wettbewerb im Gesundheitswesen. „Der Schaden für die Versicherten ist programmiert. Dagegen setzen wir uns zur Wehr“. Es ging hier zwar um beschnittene Mitspracherechte von Arbeitnehmern im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes. Doch was mit TI und ePA passiert, und dem Durchgriff bei der gematik, geht genau in die gleiche Richtung.

Demokratien haben nicht das ewige Leben

Aber Deutschland darf bei der Digitalisierung nicht zurückfallen, im Vergleich mit anderen Ländern. Immer wieder werden Israel und Estland als Vorbilder genannt. Aber nicht vergessen werden sollte, dass politische Systeme selten über mehr als 50 oder 70 Jahre hinweg stabil bleiben. Auch Netanjahu ist nun nicht gerade der angenehmste Regierungschef in einem militarisierten Land, wenngleich demokratisch gewählt. Demokratisch ist es auch zu Trump und Brexit gekommen. Allerdings mit Unterstützung von Cambridge Analytica mittels Facebook-Daten. Auch Estland ist differenziert zu sehen: die Süddeutsche Zeitung berichtete im Mai von der Regierungsbeteiligung der rechtsextremen Partei Ekre, die im Wahlkampf mit rassistischen Äußerungen aufgefallen war. Das Image von E-Estonia drohe in Gefahr zu geraten.

Ja – Patientendaten über alles!

Es droht sicher nicht gleich ein Überwachungsstaat bei uns. Aber der blinde Digitalisierungshype stimmt nachdenklich. Denn gesünder machen viele Daten erst mal nicht von vornherein. Da wären Investitionen in bessere Luft, in Klimaschutz, in Burnout-Prophylaxe und eben in die Pflege sinnvoller. Aber das ist halt nicht so chic wie spielerisch vor dem Bildschirm auf sauberen Tasten Apps zu entwerfen. Wirtschaftlich ist das Milliardenprojekt ebenso nicht, außer für Start-Ups und IT-Firmen, die nun zunehmend vom Kuchen des Gesundheitswesens profitieren. Ist ja auch Geld übrig! Vom Honorarabzug, vollzogen bei störrischen Ärzten und Therapeuten, die einfach den Weg in die goldene digitale Zukunft nicht kritiklos mitgehen wollen. Und das gleich zu über 25%.

Petitionsstand in Borken – 05.10.19

Denn uns gehen Patientendaten auch über alles. Deshalb schützen wir sie. Heute kam ein Brief aus Bischofswerda. Mit 371 Petitionsunterschriften. Dazu auch Post aus Rostock, Worms, Lindau und München mit weiteren Listen. Ermutigend. 8000 Bürger haben schon auf Papier die Petition unterstützt. Stände wurden auch in Borken/Hessen, Ravensburg sowie Wangen im Allgäu organisiert. In vielen Praxen wird für die Petition unterschrieben. Bald wird sie hoffentlich auch online beim Petitionsausschuss direkt zu zeichnen sein. Dann lässt sich das noch leichter verbreiten. Denn es gibt viele Menschen, die eben doch nicht ohnmächtig alles mit sich machen lassen wollen.

von Andreas Meißner, https://www.freiheit-fuer-ein-prozent.de/patientendaten-ueber-alles-ueber-aktivitaeten-zur-petition-blinden-digitalisierungshype-und-nicht-garantierte-stabilitaet-von-demokratien/

5 Gedanken zu „Patientendaten über alles! – Über Aktivitäten zur Petition, blinden Digitalisierungshype und nicht garantierte Stabilität von Demokratien

  • Wolfgang Keller 13. Oktober 2019 um 01:55 Uhr

    Sicherlich gibt es Fälle, bei denen ein schneller Transfair Hilfe leisten kann. Aber natürlich weiß auch ein jeder, dass gespeicherte Daten nie wirklich ganz sicher sein können. Umso mehr Schnittstellen angeboten werden, umso größer steigt die Gefahr des Mißbrauches. Angeblich war ja auch schon im Gespräch, ob Komunen die Meldedaten vermarkten dürfen.

    Dafür soll diese Idee, doch tatsächlich eine große Zustimmung in den Beratungen gefunden haben. Doch letztlich wurde es dann wieder aufgegeben. Aber wenn Regierungen finanziell in Bedrängnis kommen, dann waren leider schon mehrere Enstscheidungen bezüglich des wirtschaftlichen Nutzen und gegen die Vernunft der Sicherheit, des Datenschutzes getroffen. Hier ist immer Gefahr in Verzug!

    Antworten
  • Elke Junker 22. Oktober 2019 um 09:18 Uhr

    Hallo,
    ich würde die Petition gerne unterschreiben. Können Sie mir sagen in wo die Listen ausliegen oder wann oder wo ich online unterschreiben kann?

    Antworten
    1. admin 22. Oktober 2019 um 09:50 Uhr

      bitte gehen Sie auf dfolgenden link: https://www.gesundheitsdaten-in-gefahr.de/infomaterial/
      da können Sie material herunterladen. Wann online zu zeichnen ist können wir noch nicht sagen, siehe auch Meldungen auf der Seite.
      Grüße
      Lampros Kampouridis

      Antworten
    2. Lars 28. Oktober 2019 um 08:59 Uhr

      Keine Daten speichern.

      Antworten
  • Frauke Homilius 15. November 2019 um 21:42 Uhr

    „Freischalten der Petition“
    Vor einem Jahr hatte Ich zum Thema TSVG eine Petition
    https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2019/_01/_14/Petition_90170.nc.html
    Ich habe erst zwei Monate später nach
    einem längeren Telefonat bemerkt dass
    gar keine Freischaltung erfolgt weil eine
    ähnliche Petition bereits gestellt wurde
    von den Psychos..

    Also ich befürchte
    ihre“ Gesundheit s Daten in Gefahr Petition“
    erleidet ähnliches Schicksal

    Also telefonieren ist eine Option
    Vorsicht der/die Sachbearbeiterin sprechen juristisch

    Frauke Wulf-Homilius
    Augenärztin
    Hauptstraße 1

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