Liebe Kolleginnen und Kollegen, MitstreiterInnen und Interessierte,
2022 neigt sich dem Ende zu. Was TI, ePA, E-Rezept und E-AU angeht, jagten sich die Negativ-Schlagzeilen:
- die Konnektoren werden für Hunderte von Millionen Euro ausgetauscht, obwohl laut Experten vom Chaos-Computer-Club das nicht nötig wäre. Die beteiligten IT-Firmen machen damit ein Millionengeschäft. Die niedergelassenen Ärzte bekommen nicht einmal einen Inflationsausgleich. Das Geld fehlt außerdem in der Patientenversorgung. Warum lässt die Regierung das zu?
- Die eAU ist zwar Pflicht, funktioniert aber häufig nicht. Im neuen Jahr werden sich die Arbeitgeber umschauen, wie mühsam es ist, elektronisch an die AU-Information der Arbeitnehmer zu kommen. Viele KollegInnen stellen mit gutem Grund weiter das gelbe Formular aus.
- Das eRezept scheitert weiterhin – zu umständlich, zu unsicher, nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Die KVen Schleswig-Holstein und dann auch Westfalen-Lippe sind aus der Erprobungsphase ausgestiegen, nachdem es nicht möglich war, das E-Rezept mittels Gesundheitskarte in den Apotheken einzulösen.
- Die ePA wird kaum nachgefragt, unter 1% der Versicherten haben bisher die Einrichtung beantragt. Kein Wunder: bisher haben wir auch ohne ePA gute medizinische Betreuung geleistet.
- Juristisch geht leider wenig voran. Für die bayerischen TI-Verweigerer wird jetzt endlich eine Verhandlung Ende Januar am Sozialgericht München stattfinden, wenn die Musterklage des Kollegen Gernot Petzold (Bayerischer Facharztverband) verhandelt wird (zur Frage der Honorarabzüge). Soweit bekannt, ist wohl auch ein Vertreter der Gematik geladen. Mitglieder unseres BfDS-Kernteams werden voraussichtlich als Zuschauer dabei sein.
Gesundheitsdatennutzungsgesetz, europ. Gesundheitsdatenraum, opt-out‘s
Das Jahr 2023 wirft bereits seine Schatten voraus, wir sollten uns sinnvollerweise auf zwei Themen vorbereiten, nämlich
- auf ein von der Bundesregierung geplantes „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“, das wiederum auch für den
- „Europäischen Gesundheitsdatenraum“ (EHDS) wesentlich sein wird.
Insgesamt geht es um großzügige Datennutzung auch über Grenzen hinweg, dies wiederum verbunden mit Zwang und Pflichten (siehe auch beim Ärztenachrichtendienst, 8.11.2022):
- opt-out für die ePA wird kommen,
- weiter sollen, wahrscheinlich müssen, wir „Leistungserbringer“ die ePA befüllen, dies dann mit strukturierten Daten;
- alle Behandelnden sollen auf alle Daten Zugriff haben, wenn nicht widersprochen wird,
- und die Daten sollen automatisiert ans Forschungsdatenzentrum weitergeleitet werden – ebenso wenn nicht widersprochen wird.
Breiter Zugriff auf die Daten – gewollt von der ganzen Breite der Politik
Die Pharmaindustrie soll breiten Zugriff auf die Daten bekommen, meldet das Ärzteblatt am 23.11.; „Der Industrie möglichst umfassenden Zugang zu Gesundheitsdaten zu verschaffen, werde ‚ein wesentlicher Teil des Gesetzes sein‘, kündigte Funke-Kaiser (FDP) an“, heißt es in dem Beitrag. Und weiter: „Es herrsche Einigkeit darüber, dass auch die Pharmaindustrie von dem Datenschatz profitieren soll, den die Politik mit dem geplanten Gesetz heben will, erklärte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Ruppert Stüwe“. Dazu passen dann auch aktuelle Äußerungen des grünen Gesundheitspolitikers Janosch Dahmen: „Es ist ethisch geboten, dass wir zu einem anderen Selbstverständnis von Gesundheitsdatennutzung in Deutschland kommen“ (Ärztenachrichtendienst 28.11.22). CDU/CSU haben damit sowieso kein Problem.
Zum Europäischen Gesundheitsdatenraum, in dessen Rahmen es ebenso Datenlieferungspflichten gibt, hat der Verein Patientenrechte-Datenschutz aktuell eine lange, aber lesenswerte Stellungnahme geschrieben: https://patientenrechte-datenschutz.de/ehds-stellungnahme/
Was also begonnen hat vor 5 Jahren mit der Pflicht zur Telematikinfrastruktur, begründet mit der angeblich so dringenden Durchführung des Versichertenstammdatenmanagements, geht jetzt über in einen Datenlieferzwang zur internationalen wirtschaftlichen Verwertung sensibler Gesundheitsdaten. Und viele Menschen, die es gerne bequem haben, werden unwissentlich mitmachen. Hier warten neue Patienten-Aufklärungsaufgaben auf uns! Denn mit Schweigepflicht hat das nicht mehr viel zu tun.
Kongress der Freien Ärzteschaft am 3.12.22
Dazu passend werde ich beim Kongress der Freien Ärzteschaft am kommenden Samstag ein Kurzreferat halten zu dem Thema „Resilienz in Zeiten digitaler Überwachung – gibt’s noch Chancen, Schweigepflicht und informationelle Selbstbestimmung zu schützen?“.
Der Kongress findet live in Berlin statt und wird online übertragen. Anmeldung bis 1.12. mit vollständigem Namen, E-Mail-Adresse und Teilnahmemodus (live oder online) im Büro der Freien Ärzteschaft, mail@freie-aerzteschaft.de , Tel. 0201 68586090 (vielleicht werden ja auch noch Anmeldungen am Freitag entgegen genommen, ich hoffe es).
Trotz dieser und vor allem zurzeit noch ganz anderer Unwägbarkeiten:
genießen Sie bewusst und erst recht ruhige, erholsame Advents- und Weihnachtstage!
Viele Grüße
Andreas Meißner für das Kernteam des BfDS |