Liebe Kolleg*innen und Interessierte,
die e-AU, aber auch diverse Hintergrundentwicklungen, stehen im Vordergrund unseres aktuellen Newsletters.
Der Stichtag 1.10.2021 rückt näher, und damit steigt auch die Nervosität. Die KBV und diverse Berufsverbände fordern zwar die Verschiebung der Pflicht zur e-AU wegen noch fehlender Updates und e-Heilberufsausweise, dennoch kommt dieses Thema offenbar unaufhaltbar auf uns zu. Daher zunächst einiges dazu:
e-AU:
Nach Sozialgesetzbuch sind wir leider zur Ausstellung der e-AU verpflichtet. Bei Störfällen der TI wird es die Möglichkeit geben, aus dem Praxisprogramm heraus AU-Vorlagen direkt auszudrucken (das gelbe Formular fällt weg). Es wird sicher Kollegen geben, die ihren Patienten diese Ausdrucke in dieser Weise mitgeben werden, eines für den Arbeitgeber, eines für die Kasse, ggf. mit Kopie dann für sich selbst.
Dennoch – und das wurde uns nun auch von der KVB nochmals bestätigt – können die Kassen über die KVen prüfen lassen, ob die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden, und ggf. Disziplinarmaßnahmen anregen, bis hin zum Antrag auf Zulassungsentzug.
Es könnte demnach laut KVB mit dem weiteren Ausbau der TI-Anwendungen für „TI-Verweigerer" immer schwieriger werden, überhaupt noch rechtskonform an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen, da sie fortgesetzt und in zunehmendem Maße gegen vertragsärztliche Mitwirkungsverpflichtungen verstoßen werden, die sich insbesondere aus gesetzlichen oder bundesmantelvertraglichen Regelungen zur Nutzung von TI-Anwendungen ergeben.
Auskunft der badenwürttembergischen KV laut Medi-Verbund-Chef W. Baumgärtner in einem Rundbrief: Es wird so lange, bis die juristischen Verfahren bezüglich der TI – sowohl was die Kosten als auch was den Honorarabzug angeht – nicht abgeschlossen sind, keine solchen Maßnahmen der KV geben. Dies gilt sowohl für den Anschluss an die TI als auch für die TI-Anwendungen wie z. B. ePA oder e-AU (das komplette Rundschreiben von Baumgärtner finden Sie hier)
Soweit die offizielle Seite. Wie schnell es also tatsächlich zum Antrag auf Zulassungsentzug kommt, und ob man dann nicht noch guten Willen durch eben dann erfolgenden TI-Anschluss zeigen kann, wird erst einmal abzuwarten bleiben. Verständlich allerdings, dass etliche Kolleg*innen, besonders die mit vielen AUs, sich nun widerwillig doch anschließen.
Manche Patienten werden es toll und praktisch finden, wenn die AU gleich direkt an die Kasse geht, und sie sie ihr nicht mehr schicken müssen (an den Arbeitgeber muss sie jedoch weiter bis 6/22 per Post versandt werden). Viele allerdings werden auch ein Unbehagen dabei haben, nicht mehr an diesem Vorgang beteiligt zu sein und die e-AU mit Diagnosenangaben für sie unüberschaubar dem Internetversand preiszugeben.
TI und ePA
Dennoch wird man sich weiter mit diversen Absichten bei TI und ePA auseinandersetzen müssen. Der streitbare Kollege Stefan Streit, der dazu auch schon beim CCC einen Vortrag gehalten hatte, wird in der Vortragsreihe der Datenschützer am kommenden Donnerstag, 29.07., um 19 Uhr zum Thema sprechen:
„Telematikinfrastruktur und Datenökonomie – was geht mich das an?“
Einwahl-Link: https://www.galatis.de/DDRM_Veranstaltung
Derweilen fordern etliche Industrieverbände, auch Pharmafirmen, Zugriff auf Daten der TI, Forschungspotentiale blieben sonst ungenützt: https://www.bvitg.de/0721-forschungskompatible-epa-potenziale-ungenutzt/
Wohl auch deshalb macht sich der Vorsitzende des Sachverständigenrates (SVR), Prof. Gerlach, Sorgen, die ePA könnte zum Flop werden. Manchen Argumenten könnten wir durchaus zustimmen, nur nicht seinen Schlussfolgerungen: https://observer-gesundheit.de/gute-behandlung-mit-schlechten-daten/
Vertrauen in zentrale Infrastrukturen reichlich beschädigt
Diverse Hackerskandale, Cyberangriffe mit Trojaner-Updates sowie Smartphone-Spionage mit spezieller Software (Stichwort: Pegasus) machen derzeit reichlich Schlagzeilen. Dazu kommt, dass die Regierungen immer datengieriger werden und dabei vor Überwachungsmechanismen nicht zurückschrecken, was mit Blick auf die ePA immer mit zu denken ist:
So kann nun laut einem im Juni verabschiedeten Gesetz ein Staatstrojaner im Einzelfall präventiv eingesetzt werden, auch zum Mitlesen eigentlich verschlüsselter Kommunikation: https://www.deutschlandfunk.de/datenschutz-staatstrojaner-bald-auch-praeventiv-im-einsatz.684.de.html?dram:article_id=498721
So wird im Bundesforschungsministerium schon über Social Scoring à la China nachgedacht: https://www.heise.de/tp/features/Ueberwachungsfantasien-im-Ministerium-6120666.html?seite=all
In Bayern wurde nun das Polizeiaufgabengesetz novelliert, wonach es zu Zuverlässigkeitsprüfungen vor Großveranstaltungen kommen kann, zwar nur mit Einverständnis der Betroffenen, aber wenn man eben ins Fußballstadion will …?: https://www.br.de/nachrichten/bayern/bayern-landtag-verabschiedet-neues-polizei-aufgabengesetz,Sdjc7nl
Dazu die im Januar schon erfolgte Verabschiedung des Registermodernisierungsgesetzes, wonach die Steuer-ID nun für vielfältige digitale Verwaltungsaufgaben der Behörden zentralisiert wird. Bundesdatenschützer U. Kelber kritisierte kürzlich in einem Interview u. a., dass genau damit ein bei Einführung der Steuer-ID gegebenes Versprechen gebrochen wurde, und forderte eine „Überwachungsgesamtrechnung“: https://www.deutschlandfunk.de/bundesdatenschutzbeauftragter-kelber-spd-europa-muss-seine.868.de.html?dram:article_id=499688
Mit diesen vielen Hintergrundinformationen verbleibe ich mit besten Wünschen für trotzdem schöne Sommertage
Andreas Meißner
für das Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS) |